Qualifiziert, ich bin dabei! Damit hatte ich wirklich nicht mehr gerechnet, dass ich in meiner späten sportlichen Schießsportkarriere noch mal die Qualifikation zur Deutschen Meisterschaft in der olympischen Disziplin Luftgewehr erreiche – der Altersklasse sei Dank 😉 Nach 23 Jahren Pause ist das nun mein zweites Sportsaison-Revival. Das Hotel ist gebucht, die Koffer gepackt. Ich bin dann mal weg.
Ankunft auf der Olympia-Schießanlage in München-Hochbrück
Samstag, 24. August. Ich bin da – die Olympia Schießanlage heißt alle Sportler und Gäste herzlich willkommen. Mein Herz schlägt schon ein bisschen schneller. Was für eine tolle Atmosphäre!
Zelt an Zelt reihen sich in weiß die zahlreichen Hersteller und Fachhändler zwischen verschieden großen Hallen und Gebäuden. Noch etwas desorientiert versuche ich mir einen Überblick zu verschaffen. Wo geht es zur Waffenkontrolle und wo zur Bekleidungskontrolle? Und wo bekomme ich mein Rückenschild mit meiner Startnummer?
Mein Trainer Mike von den Hilgerter Schützen ist ein alter Hase nationaler Meisterschaften. Er hatte mich schon zuvor instruiert, was ich am besten schon am Vortag meines Starttermins erledigt haben sollte. Und in der Tat, so richtig intuitiv findet man sich nicht so schnell zurecht, wenn man erstmals die Qualifikation zur Deutschen Meisterschaft erlangt hat.
Dabei war bis vor zwei Tagen noch gar nicht sicher, ob ich überhaupt starten kann. Eine Woche zuvor hat mich ein übler Hexenschuss ereilt. Doch drei Spritzen und zweimal täglich 1200 mg Ibuprofen haben ihre Wirkung gezeigt. Bin dann auch gleich mal bei den Vertretern der Nationalen Anti Doping Agentur (NADA) vorstellig geworden, um mich zu vergewissern, dass ich keine verbotene Substanz zu mir genommen habe. Ich wollte auf gar keinen Fall für negative Schlagzeilen sorgen. Meine Befürchtung war unbegründet.
Waffen- und Bekleidungskontrolle
Die Waffen- und Bekleidungskontrolle ist freiwillig, was mich insbesondere bei der Waffenkontrolle überrascht. Doch auf den Startunterlagen wird eindringlich darauf hingewiesen, dass nach jedem Schießdurchgang 10 % der Starter nachträglich zur stichprobenartigen Waffen- und Bekleidungskontrolle herausgezogen werden. Ich will auf Nummer Sicher gehen und habe mich schon früh für die freiwillige Kontrolle in dem völlig überhitzten Zelt entschlossen.
Meine Waffe wird geprüft und gewogen. Da habe ich mit keiner Überraschung gerechnet. Ich erhalte mein Prüfsiegel, was ich noch vor Ort auf mein Sportgerät aufkleben muss. Aber die Bekleidungskontrolle macht mir ein wenig Sorgen, hatte ich doch zuvor noch in der aktuellsten Sportordnung des Deutschen Schützenbundes gelesen, dass man bei geschlossenem Hosenbeinreißverschluss mit „normalen Sport- oder Trainingsschuhen“ durch das Hosenbein steigen können muss. Bei meiner Schießhose völlig ausgeschlossen. Selbst mit Ballettschuhen würde ich schon im Kniebereich steckenbleiben.
Jetzt bin ich an der Reihe. Schießjacke und -hose muss ich nacheinander auf einen blankpolierten Edelstahltisch legen. Das Material wird an diversen Stellen mit einer kleinen Hammervorrichtung bearbeitet und so auf seine Steifigkeit geprüft. Mindestens 3 mm muss das Material auf einen bestimmten Druck nachgeben. Und dann der Schock: Im Rückenbereich ist das Material meiner Schießjacke etwas zu steif! Der Prüfer erkennt meinen ratlosen Blick. Er erklärt, dass ich an ein paar Stellen einfach ein bisschen das Material kneten solle – das wäre bei den meisten recht neuen Jacken immer wieder das gleiche Problem. Mit ein bisschen Jackenkneten sollte ich bei einer Pflichtprüfung keine Probleme bekommen. Puh, ist wohl noch zu retten.
Dann muss ich mich anziehen, in voller Montur einschließlich Unterbekleidung, bei 29° Außentemperatur und gefühlt 35° im Prüfungszelt. Schon kommt ein weiterer Prüfer und nimmt sich meiner an. „Bitte Jacke schließen!“, ist genau der Satz, den ich befürchtet habe aber eigentlich nicht hören wollte. Die gefühlte Temperatur übersteigt schlagartig die Fiebergrenze. Mit einem sehr speziellen Messgerät zerrt man an mir und meiner Jacke. 7 cm muss die Jacke vom Knopfloch bis zum Knopf überlappen. Ich hole kurz Luft, als ich die Worte vernehme „Sie müssen zwei Knöpfe versetzen, 2 cm!“. Und schon habe ich die zweite Hausaufgabe, die ich später im Hotel erledigen will. Dann sollte meine Schießjacke regelkonform sein.
Meine Schießhose dagegen wird nicht beanstandet, trotz der merkwürdigen Regel in der Sportordnung. Dem will ich später aber noch mal am Zelt der Bekleidungsfirma nachgehen.
Aber wo bekomme ich mein Rückenschild? Ohne Rückenschild mit Startnummer keine Startberechtigung! Ich frage nach und erhalte eine ebenso freundliche wie kompetente Antwort. Ich gehe zum beschriebenen Drucker und scanne den Barcode meiner Startkarte. Sekunden später halte ich mein Rückenschild mit meinem Namen und meiner Startnummer in den Händen. Am Nachbarstand kann ich noch meine Dopingerklärung abgeben – hätte ich fast vergessen. Das wäre geschafft. Heute Abend noch die Schießjacke bearbeiten und kneten und ich bin gerüstet.
Wettkampftag
Montag, 26. August. Habe heute früh keinen sehr großen Appetit. Ansonsten bin ich noch gelassen. Will schon frühzeitig losfahren, um noch einen Parkplatz auf dem Olympiagelände zu bekommen. Gestern musste ich nämlich auf einen Ausweichparkplatz 4,5 km vom Gelände entfernt parken und in einen Busshuttle einsteigen. Heute bin ich frühzeitig, gehöre aber bei Weitem nicht zu den Ersten. Weitere Autos füllen im Sekundentakt das Parkplatzgelände.
Standbelegung und Vorbereitungszeit
9:30 Uhr. Mein Standnachbar hat seinen Personalausweis verlegt. Ausgerechnet jetzt bei der Startkartenkontrolle. Ohne Ausweisdokument zur Startkarte keine Startberechtigung! Das ist ärgerlich. Bei einem Start in einer anderen Disziplin hatte er ihn noch zur Hand. Sein Stresspegel steigt. Und plötzlich – da ist er! Ist in eine Spalte am Schießtisch gerutscht. Der Start ist gerettet. Mein Nachbar ist sichtlich erleichtert.
Vorbereitungszeit Ende, die Wettkampfzeit startet jetzt!
10:00 Uhr. Mein Puls rast. Ich bemühe mich zu konzentrieren und ruhig in den Bauch zu atmen. Ich schaffe es, mich halbwegs passabel über die ersten 10 Schuss zu retten. Mein Puls ist bereits ruhiger, aber so richtig finde ich meinen Rhythmus nicht. Nach dem 40. Schuss ist urkundlich, dass ich zu den Schlusslichtern zähle. Aber das war mir im Grunde ja auch schon vorher bewusst. Selbst wenn ich, mit einem für meine Verhältnisse zufriedenstellenden Ergebnis geendet hätte, hätte es an der Gesamtsituation nicht viel geändert – das Niveau in meiner Altersklasse „Herren III“ ist immer noch beeindruckend hoch. Die ersten 31 Plätze von 185 haben allesamt die 400 vor dem Komma stehen. Hier entscheidet nur das Hundertstel hinter dem Komma. Aber egal, ich war dabei. Und das ist heute für mich das einzige was zählt.
Ich komme noch mal zurück auf mein Problem mit der Sportordnung und meiner Schießhose
Ich frage nach beim Schießbekleidungshersteller wegen der Passform meiner Schießhose und der besagten Regel in der Sportordnung. „Das galt früher mal“ war die Antwort, „das gilt nicht mehr“. Ich hake nach und verweise auf Seite 110, Regel 7 der aktuellsten Deutschen Sportordnung. Mittlerweile stehen drei Mitarbeiter der Bekleidungsfirma um mich herum. Einer zückt sein Handy und sucht die von mir genannte Regel. Er ist überrascht, bleibt aber bei seiner Aussage und ergänzt, dass das noch nie geprüft und beanstandet wurde. Er verweist auf die internationale Version der Sportordnung. Und darauf, dass er den Verantwortlichen darauf hinweisen und ihn um Löschung der „alten“ Regel bitten möchte. Man kennt sich wohl in der Szene. Ich bin gespannt und werde in der nächsten Version der Deutschen Sportordnung mal nachschauen, ob die Regel tatsächlich entfernt oder korrigiert wurde.
Abreise
Im Frühstücksraum treffe ich zahlreiche Schießsportler mit ihren Familien – leicht zu erkennen an den variantenreichen Vereinstrikots und T-Shirts mit dem Logo-Aufdruck der Deutschen Meisterschaft 2019. Ich fahre zurück mit eindrucksvollen Bildern im Kopf. Ob qualifiziert oder nicht, die Deutsche Meisterschaft in München ist auf jeden Fall ein Erlebnis und einen Besuch wert. Nirgendwo sonst findet man alle namhaften Hersteller und Fachhändler in Schrittweite auf einem Platz. Die beste Gelegenheit für kostenlose Munitionstests, Service und Wartung des Sportgeräts sowie Ergänzung der Ausrüstung. Und nicht zuletzt – ein bisschen Münchner Biergarten-Feeling 🙂
Bis bald. Euer Pressewart Jörg